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Blogpost aus Mora


2025-01-31

Schulbesuch im Naturkundemuseum - Kapitel 1 - Teil 3

1
„Und warum leuchten seine Knochen?“, stellte das Fuchsmädchen eine weitere Frage. Sie hatte ebenfalls ihren Rücken ertastet, wobei sie ihren Schwanz losgelassen hatte, ohne ihn danach wieder zu packen. „Das ist eine sehr wunderbare Frage“, erklärte Brigit. „Und eine sehr wichtige, die sich auch die Paläontologen stellten, als man diesen Giganten in Kush aus dem Wüstensand ausgrub.“ „Was ist denn so komisch daran?“, wollte ein Junge wissen. „Leuchten denn nicht alle Fossilien?“ „Hast du Tomaten auf den Augen?“, rief ein anderer. „Hier leuchtet sonst niemand!“ Viele in der Klasse lachten gehässig auf, was den Jungen sichtlich verletzte. Bestimmt nahm Brigit das Wort an sich, um das Gehänsel zu durchschneiden: „Euer Mitschüler hat durchaus Recht. Sehr viele Fossilen leuchten. Genauer gesagt jene, welche versteinerte Überreste von Tieren und Pflanzen sind. Und ab der Magizeit trifft es auch wirklich auf alle Knochen zu, die wir bislang gefunden haben. Doch all diese uralten Knochen, die ihr hier seht, stammen aus der Kreidezeit, das letzte den Dinosaurier gewidmete Erdzeitalter, bevor sie ausstarben. Welches auch das letzte Zeitalter darstellt, in dem unsere Welt noch nicht so stark mit magischen Energien durchsättigt wurde wie in der heutigen Zeit. Deshalb machte auch jeder große Augen, als man den Spinosaurus hier ausgrub und des Leuchtens seiner Knochen ansichtig wurde. Vor allem, da man rasch erkannte, wo sich das für das Leuchten verantwortliche Magirium ballte. Ihr könnt sicher erraten wo, nicht wahr?“
2
Sofort ertönten aufgeregte Rufe, allesamt richtigerweise die Dornfortsätze nennend, bei denen das Leuchten am stärksten war. „Das ist korrekt“, nickte Brigit. „In diesen Knochen, die einst ein Rückensegel spannten, steckt die größte Menge an Magirium. Was wiederum ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Spinosaurus magische Energien in seinem Stoffwechsel verwendete. Wofür, dass weiß leider niemand genau, aber …“ Ihre Stimme nahm einen verspielt verschwörerischen Tonfall an: „… man munkelt, er konnte Feuer speien.“
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„Etwa wie ein Drache?“, fragte das kleine Fuchsmädchen mit einem Blick, der Brigit die Seele wärmte. Man konnte sehen, wie in den Augen jenes Mädchens die Sterne der Neugierde sich zu einer Konstellation der Erkenntnis verbanden. Sie sah hoch zu dem Schädel des Spinosaurus und hauchte ehrfürchtig: „Ist er etwa … der Vater aller Drachen?“ „Sicher zumindest ist er einer“, bestätigte Brigit, glücklich erkennend, dass sie die Kinder verzaubert hatte. Mühelos konnte sie die Aufmerksamkeit der Klasse von dem Skelett weg hin zu einem Bild an der nahen Wand lenken. Jenes war eine künstlerische Darstellung, wie die Evolution über mehrere Generationenstufen hinweg vom Spinosaurus hin zum Drachen – in dem Fall genauer dem Beuteldrachen – erfolgt sein könnte. Wie unter anderem das lange, krokodilhafte Maul schrumpfte oder wie die Arme sich zu Vorderbeinen umformten, um den schweren Leib besser tragen zu können. Aber vor allem, wie sich die Dornfortsätze entzweiten, sodass aus dem Rückensegel die feinen, durchsichtigen und leuchtenden Segelflügel wurden, die für den Drachen die magischen Energien einfingen, die er sowohl für das Fliegen und Kämpfen als auch für das Zusammenhalten seines massigen Körpers benötigte. In dieser schön anschaulichen Darstellung steckte sehr viel Spekulation, denn bislang hatte man keine Fossilien von den Spezies zwischen Spinosaurus und Drachen gefunden, doch das verschwieg Brigit frech. Denn es würde den Rahmen der Führung sprengen, den Kleinen noch den Unterschied zwischen Hypothese und Theorie zu erklären.
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„Aber … das verstehe ich nicht …“, hörte Brigit ein Mädchen mit rabenschwarzem Haar sagen. „Oh, war das etwas zu viel?“, fragte die Studentin näher zu ihr herantretend. „Oder sprach ich zu schnell? Soll ich etwas wiederholen?“ „Nein, nein“, schüttelte das Mädchen hastig den Kopf. Nur um ihn dann zu senken. Offensichtlich traute sie sich nicht, ihre Verwirrung offenzulegen. Brigit sprach sanft zu ihr: „Hey, du brauchst keine Scheu zu haben. Du kannst mich alles fragen.“ „Und Sie werden mir nicht böse sein?“ „Nein, niemals. Nur mutige Neugierige können schließlich Neues entdecken.“ Den Kopf hebend fasste das Mädchen Mut und fragte: „Warum werden die Dinosaurier nicht in den Mythen erwähnt? Frau Schönberg erzählte uns, dass Drachen uralte Wesen seien, die schon zu Beginn der Zeit die Himmel durchflogen. Bevor Odin und seine Brüder Ymir erschlugen und aus seinem Leib unsere Welt Midgard formten.“ Von der ganzen Klasse kamen sowohl zustimmendes Gemurmel als auch widersprechendes Gestänker. „Frau Schönberg. Ist das eure Mythenlehrerin?“, fragte Brigit, worauf der Zwietracht kurz zu Einstimmigkeit wurde, bevor sie sich wieder entzweite. „Hat du ihr schon diese Frage gestellt?“ „Ja“, nickte das Mädchen. „Sie sagte, das eine wäre Glauben, das andere Wissenschaft. Und dass beides getrennt voneinander angesehen werden muss.“
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Es war verständlich, warum die Mythenlehrerin solch eine ausweichende Antwort gegeben hatte. Und warum das Mädchen mit dem rabenschwarzen Haar nicht sehr glücklich mit solch einer Antwort war. Allerdings erleichterte es Brigit, ihre im Kopf bereitgelegte Erwiderung darzulegen, ohne der Lehrerin in das Unterrichten zu pfuschen: „Nun, es ist eine tatsächlich sehr schwierige Frage, die du stellst, meine Liebe. Eine, die ich dir nicht endgültig beantworten kann. Denn ich bin keine Priesterin und solch eine könnte dir auch keine abschließende Antwort geben. Doch ich kann dir, euch allen, sagen, was ich über das Ganze denke? Wäre das okay für euch?“ Das schwarzhaarige Mädchen nickte eifrig und der Rest der Klasse stimmte zu. Rasch warf Brigit einen unsicheren Blick sowohl zu dem Lehrer als auch zu ihrem Dozenten Herrn Müllziege, doch die beiden gaben ihr jeweils ein Daumenhoch. Ihre beiden Mitstudenten hingegen, die diskret beim Durchgang zur nächsten Halle warteten, zeigten andere Haltungen: Während Siegfried seine goldenen Ohren hoch aufgerichtet hielt, wohl gespannt auf ihre Worte lauernd, so verriet Petrus’ missgünstige Miene, dass er seine Meinung über das ‚Flunkern‘ nicht geändert hatte.
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Doch damit lebte sie. Ihre Liebe zu ihm umfasste die Akzeptanz seiner widersprechenden Ansichten, so wie die seine ihre Meinungen hinnahm. Somit widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder der Klasse und erzählte ihnen: „Mein Glauben ist, dass eure Mythenlehrerin durchaus Recht hat, dass Drachen bereits zu Beginn der Zeit flogen. Zu dem Beginn der Zeit unserer Götter.“ „Unserer Götter?“, wiederholte das schwarzhaarige Mädchen. „Unserer Götter“, bestätigte Brigit. „Als die Dinosaurier vor Millionen von Jahren auf Gaia wanderten, existierte der Mensch als solcher nur als eine vage Möglichkeit im Blut seiner Urvorfahren.“ Sie hoffte sehr, niemand fragte, wie dieser Vorfahre denn genau aussah. Es wäre etwas zu kompliziert gewesen, auf die Schnelle den Ast des Baumes des Lebens zu erklären, auf denen die Säugetiere mitsamt den Menschen saßen. Glücklicherweise ertönte diese Frage in keinem der kleinen Köpfe, sodass sie fortfahren konnte: „Wäre es da nicht naheliegend, dass auch die menschlichen Götter damals noch nicht existierten?“ „Sie meinen, die Dinosaurier hatten ihre eigenen Götter?“, schloss das süße Fuchsmädchen an und ihre Augen wurden groß. Darauf wollte Brigit eigentlich nicht hinaus, denn das wäre etwas sehr geflunkert. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass die Dinosaurier irgendeine Kultur hatten, geschweigen eine Religion. Allerdings musste Brigit auch kurz schmunzeln über die Vorstellung, wie der Spinosaurus hier eine frisch erlegte Beute auf einen riesigen Steinaltar wuchtete, sie mit seinem Feueratem anzündete und anschließend Lieder der Huldigung brüllte. „Wer weiß?“, gab sie deshalb eine ausweichende Antwort. „Wir können es nicht ausschließen …“ „Warum sagen dann die Mythen aber, dass die Götter die Welt geschaffen haben?“, beharrte das schwarzhaarige Mädchen weiterhin auf ihrer Verwirrung. Wieder eine gute, aber ebenfalls schwierige Frage, auf die Brigit spontan antwortete: „Doch was ist genau mit Schöpfung gemeint? Zumeist, dass etwas Grobem eine feine Form gegeben wird. Ein Bildhauer zum Beispiel zerschlägt den Stein, um eine Statue zu formen. Ähnlich könnten es auch die Götter tun. Schließlich schnitzte Odin das erste Paar der Nordmenschen aus einem Ast des Weltenbaumes Yggdrasil, während Prometheus die Hellenen aus Ton formte. Sie beide bedienten sich bereits existierender Materialien.“ „Und Sie denken, das Schaffen der Welt könnte so ähnlich gewesen sein?“ „Oh ja. Wie euch später mein Kommilitone, mein Mitstudent erklären wird, hat unsere Welt in Laufe der Erdgeschichte viele Verwüstungen erleiden müssen. Vielleicht fand Odin Midgard in einem solch fürchterlichen Zustand vor, dass er einen ganzen Riesen brauchte, um sie als eine Heimat für uns neu zu erschaffen.“ Das Fuchsmädchen hörte gespannt mit ihren Ohren zuckend zu, während das schwarzhaarige Mädchen unschlüssig schien. So ähnlich gemischt erging es dem Rest der Klasse, doch das ging für Brigit in Ordnung: Das Ganze stellte eine Glaubensfrage dar, weshalb jedes Kind selbst darüber nachdenken und zu seinem eigenen Schluss kommen musste.

Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 14. Februar 2025, veröffentlicht.

Admin - 13:39:13 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen