2025-04-11
1
„Das ist ja noch lächerlicher als die Dinosaurier vorhin!“, stieß nun endlich der Christenjunge aus, was Siegfried die ganze Zeit bei ihm brodeln sehen konnte. Ein bisschen hatte sich der goldene Katermann schon auf diese Konfrontation gefreut und setzte sein selbstbewusstestes Lächeln auf: „Ach, und welcher Zeile deiner unfehlbaren Bibel habe ich gerade widersprochen?“ „Geleugnet hast du sie alle!“, tobte der Junge. „Kein einziges wahres Wort hast du gesprochen! Weil du dich davor fürchtest, die wertvollste Wahrheit aller einzugestehen!“ „Und welche soll das sein?“, forderte Siegfried ihn heraus, sehr wohl wissend, was sogleich kommen würde: „Jene, dass diese Welt von einem allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott geschaffen wurde, dem wir unsere Verehrung und Liebe entgegenbringen müssen!“ Wild wedelte der Junge mit seinen Armen, um verächtlich auf die riesigen Exponate zu weisen: „Turmköpfe! Die durch versumpfte Lande stampften, auch noch! Merkst du denn nicht, welchem lächerlichen Unsinn du dich hingibst, um die Sintflut zu leugnen?“ „Was, willst du etwa andeuten, tausende von Wissenschaftler hätten insgeheim Hinweise darauf gefunden, dass dein Gott in einem Tobsuchtsanfall die ganze Welt ertränkt hätte, mitsamt Mann und Frau sowie Kind und Tier?“, fragte Siegfried nach, worauf der Junge brüllte: „Bereinigte! Er bereinigte die Welt von elenden Sündern wie dich, die Gottes Autorität leugnen, um sich allen Lastern hinzubegeben! Um zu fressen, zu ficken, zu stehlen, zu morden, zu …“ „Nun habe ich genug!“, durchschnitt mit beherrschter Autorität der Lehrer Eisenwächter die Tirade, trat an den Christenjunge heran und vergrub seine Hand in dessen Schulter, zwar nicht zu tief, um Schmerzen zu verursachen, aber fest genug, um keine Widerrede zu dulden. „Ich hatte dich gewarnt. Jetzt verbringst du den Rest der Zeit in der Eingangshalle.“
2
„Siegfried, du warst furchtbar“, fuhr Brigit den goldenen Katermann an, ihre sonst so lieblichen Zügen zu schimmernden Klingen verhärtet, sobald hinter ihnen die Tür des Pausenraumes sich verschloss. „Wie konntest du das diesem armen Jungen antun?“ „Was?“, schleuderte Siegfried frustriert zurück. „Ich habe nur das getan, was ich zuvor angekündigt hatte: das Rütteln an dem Dogma.“ „Nein, hast du nicht!“, widersprach Brigit, die Fäuste auf die Hüfte pressend. „Ich verstehe ja, dass du den Konflikt zwischen Mythos und Wissenschaft direkt ansprechen wolltest. Zwar denke ich noch immer, dass es zu barsch ist, Kinder mit solch einem schwierigen Thema direkt zu konfrontieren, doch ich sehe ein, dass man da geteilter Meinung sein kann. Doch als du mit dem Jungen sprachst, ging es dir eindeutig nicht darum, ihn zum Nachdenken anzuregen. Sondern darum, ihn stattdessen zu provozieren, auf dass er sich vor seinen Klassenkameraden beschämt. Muss ich es dir wirklich vor die Augen ziehen, dass der Junge nun noch mehr ausgegrenzt werden wird?“ „Aber wie ist das meine Schuld?“, verlangte Siegfried zu wissen, wobei er erbost seinen langen, dünnen Schwanz wie eine Peitsche umherschlug. „Ich habe ihm gegenüber dieselben nachsichtigen Nachfragen angewendet, wie bei den anderen Kindern.“ „Hast du nicht“, beharrte Brigit. „Du warst bei den anderen Kindern so nachsichtig wie ein Krankenbruder mit einer Spritze.“ „Na danke …“ „Ich meine das Ernst“, sagte Brigit mit sich entspannenden Zügen. „Ein Krankenbruder weiß, dass die Spritze wehtut und nimmt das Leiden des Kindes ernst. Deshalb spricht er lieb zu ihm, macht ihm Mut und warnt ihn, wenn er die Spritze hineindrückt. Letztendlich muss dieser kleine Schmerz zugefügt werden, doch der Bruder tut alles in seiner Macht, um ihn so klein wie möglich zu machen. Genau dies hast du auch getan, Siegfried. Bis dieser Junge dran war, denn dann änderte sich deine Haltung, dein Tonfall und deine Wortwahl. Rammtest ihm so einfach die Spritze zwischen die Augen.“ „Das ist doch vollkommener Unsinn“, schüttelte Siegfried den Kopf. „Ich habe mein Ausdruck nicht verändert.“ „Dann hast du es schlichtweg nicht gemerkt“, meldete sich Petrus zu Wort. „Mir ist es ebenfalls aufgefallen. Es ist nicht verwunderlich, dass der Junge nicht zuhören wollte und seinen Schild des Glaubens erhob.“
3
„Das kann doch nicht euer Ernst sein“, zupfte Siegfried frustriert sich am spitzen Ohr. Mit einem Räuspern erinnerte Professor Müllziege die drei Studenten an seine Anwesenheit und ergriff so das Wort: „Nachdem schon bereits so viel gesagt wurde, will ich bezüglich dieses Punktes keine weitere Kritik hinauflegen. Allein darauf pochen will ich, dass ich genau vor so etwas gewarnt hatte. Aber das Problem hat sich sowieso erledigt, womit wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren können. Denn abgesehen von dem unrühmlichen Ende, hat Herr Eisenwächter Ihre Führung sehr gefallen, Herr Goldschmitt. Diese war äußert anschaulich und Sie haben gut und klar den Kindern diverse Konzepte nahegebracht. Sein einziger Kritikpunkt war nur, dass es vielleicht zu viel des Guten gewesen war.“ „Wie meinen?“, fragte Siegfried, während das Lob wie Balsam seinen Ärger schrumpfen ließ. „Nun, Sie haben den Kindern nicht nur die Magizeit an sich und die Turmköpfe vorgestellt, sondern auch mit dem Mysterium der Muschelherzen versucht zu erklären, wie Wissenschaft von statten geht. Und dann auch noch ein philosophischer Abstecher über den puren Wahrheitsgehalt von Mythen. Er denkt, dass das zu viel auf einmal für die Kleinen war und teilweise auch etwas zu kompliziert.“ „Aber ich habe mich doch nur auf ein paar simple Fakten beschränkt und diese auf das Kleinstmöglichste heruntergebrochen“, wandte Siegfried ein, worauf der Dozent schmunzelte: „Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, Herr Goldschmitt. Als Ihr Dozent habe ich schließlich diese Führung und ihr Inhalt genehmigt, womit ich eine Mitschuld trage. Auch mir musste Herr Eisenwächter erklären, was man Grundschülern zumuten kann. Die haben in Sachkunde Evolution gerade erst in den Grundzügen kennengelernt. Grundkonzepte wie Mutation und Natürliche Selektion, die allein schon für das Gemüt eines Kindes schwer zu verdauen sind.“ „Das verstehe ich ja durchaus“, stimmte Siegfried zu. „Doch ich wollte nicht wegen ihren jungen Jahre allein ihre Intelligenz beleidigen.“ „Das war auch im Ganzen der richtige Ansatz“, nickte der Satyr, durch seinen Ziegenbart streichend. „Auch wenn die Kinder am Ende etwas verwirrt waren, so war laut Eisenwächter ihre Wissbegierde dafür aber eindeutig angefeuert worden.“ „Oh ja, das wurde sie“, stimmte Brigit zu und sie lächelte den goldenen Katermann an. Zwar funkelte immer noch eine gewisse Schärfe in ihren Zügen, doch das Lächeln strahlte aufrichtig, sodass Siegfried etwas weniger frustriert ihre weiteren Worte vernahm: „Vor allem dieses Fuchsmädchen war am Anfang so schüchtern gewesen und nun kann sie gar nicht genug erfahren.“ So lieblich auch ihr Lob war, so stachelte es doch zumindest etwas Siegfrieds Frustration an, denn in Ruhe musste er einsehen, dass das mit dem Christenjungen ihm gründlich misslungen war. Somit stand er nun schlecht vor Brigit da und seine einzige Hoffnung bestand darin, dass Petrus es noch gründlicher verhaute als er. Doch diese Hoffnung erschien dem Katermann nicht sehr groß, denn Petrus mag zwar ernst und trocken sein, doch dies bedeutet auch, dass er sicher kein Theater auslösen würde. Vor allem jetzt, wo der Dogmabengel aus dem Bild geschubst worden war.
4
„Dann bin wohl ich an der Reihe“, murmelte Petrus, seine auf dem Tisch liegenden Notizen überfliegend. Sein Stift wanderte unsicher über die Zeilen, die Spitze drohend über manchen Buchstaben schweben bleibend. Er hegte wohl Bedenken, weil seine Führung vielleicht ebenfalls etwas zu kompliziert war, etwas, was auch der Dozent erkannte und meinte: „Sie sollten jetzt nicht überstürzt Ihre Führung umgestalten, Herr Berger. Bleiben Sie bei Ihrem Plan und alles wird schon ein abgerundetes Ende haben.“ „Wenn Sie es sagen“, nickte Petrus, aber immer noch geistesabwesend. „Petrus, besorgt dich etwas?“, wunderte sich Brigit, ihn liebevoll die Hand auf den Arm legend. „Du wirst doch nicht etwa Lampenfieber bekommen, oder?“ „Offen gesagt: Angesichts dessen, was ich vorhabe, schon ein bisschen“, gestand Petrus überraschend ein, bevor er an den Dozenten richtete: „Professor Müllziege, ich habe eine Bitte: Ich wünsche, dass der Junge, Gabriel, weiterhin an der Führung teilnimmt.“ „Sind Sie sich sicher, Herr Berger?“, drückte der Dozent seine Verwunderung aus, worauf Petrus bekräftigte: „Ja.“ „Nun, Sie kennen ja schon meinen Rat dazu. Doch es ist Ihre Führung und ich will Sie dementsprechend nicht bevormunden“, gab Professor Müllziege sein Einverständnis. „Allerdings werde ich das zuerst mit dem Herrn Eisenwächter besprechen müssen. Es ist seine Klasse und er muss dementsprechend die Entscheidung fällen.“ „Danke“, sagte Petrus, während Brigit unbehaglich seinen Arm hielt: „Hast du einen Plan?“ „So ungefähr“, erwiderte ihr Geliebter ausweichend, was sichtlich Brigit nicht überzeugte. Und auch nicht Siegfried, was ihn umso mehr freute: Wenn dieser Oberatheist auf den Dogmabengel stieß, würde es ein zweites Ragnarök geben. Petrus wird am Ende noch schlimmer dastehen als Siegfried, sodass dieser vielleicht dann doch noch eine Chance hatte, Brigit für sich zu gewinnen.
Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 25. April 2025, veröffentlicht.
Admin - 08:08:32 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen